unmittelbare Verwandtschaft mit dem deutschen Faustbuche schließen, sondern im Gegentheil ist Faust's Geburtsort und andere Kleinigkeiten dort ganz abweichend von Spieß angegeben, und was noch wichtiger ist die ganze Auffassung der Sage ist eine vollständig andere, als bei Spieß, da in der Ballade nur die Sucht nach Gold als die Ursache von Faust's Abfall von Gott angesehen wird, während Spieß, wie oben schon erwähnt wurde, ausdrücklich Faust's übermäßigen Wissensdrang als die Ursache des tragischen Conflicts in seinem Leben bezeichnet. Wenn ich nun also auch eine Beziehung dieser Ballade zum Spieß'schen Volksbuch nicht einräumen kann, so glaube ich doch, daß das Volksbuch unmittelbar nach seinem Erscheinen nach Eng= land gebracht wurde: eine Annahme, die durch die Resultate der von Albert Cohn in seinem Buche,,Shakspeare in Germany"46) angestellten gründlichen Forschungen über die Wechselbeziehungen zwischen der englischen und deutschen Bühne während des 16. und 17. Jahrhunderts eine nicht unbedeutende Stüße erhält. Cohn weist zunächst im Allgemeinen nach, daß schon vor 1588 englische Schauspielertruppen an deutschen Fürstenhöfen Vorstellungen gegeben haben, 47) und bestimmt dann durch beigebrachte Documente sogar die Namen von fünf Mitgliedern einer Truppe, die sich von 1585-1587 in Deutschland an den Höfen von Dresden und Berlin aufhielt, und zu der die nachmals berühmten Schauspieler Thomas Pope und George 46),,Shakspeare in Germany in the sixteenth and seventeenth centuries: an account of English actors in Germany and the Netherlands and of the plays performed by them during the same period. By Albert Cohn, with two plates of facsimiles. London and Berlin, 1865." 47) S. Cohn, a. a. O., S. XXVIII, wo folgende Stelle aus,,Heywood's apology for actors" citirt wird: „At the entertainment of Cardinall Alphonsus and the Infant of Spain in the Low Countries, they were presented with sundry pageants and plays: the King of Denmark, father to him that now reigneth, entertained into his service a company of English comedians, commended unto him by the honourable the Earl of Leicester: the Duke of Brunswick and the Landgrave of Hessen retain in their courts certaine of ours in the same quality." Cohn selbst fährt dann fort: „The King of Denmark that now reigneth, i. e. in the year 1612, in which year the ,,Apology for actors" first appeared, was Christian IV (1588—1648), and his father, in whose service the company of English comedians is stated to have been, was Frederick II. (1559-1588). Hence we arrive at the striking conclusion that prior to the year 1588 English players must have taken their art to foreign countries" u. f. w. Bryan gehörten. Im Jahre 1587 müssen diese Leute in ihr Vaterland zurückgekehrt sein, da ihre Namen schon „vor 1588“ sich auf den englischen Theaterzetteln finden. 48) Was ist also wahrscheinlicher, als daß diese Schauspielergesellschaft das Volksbuch von Faust nach England hinübergebracht und dort verbreitet hat? Allerdings scheint die älteste englische Ueberseßung des Volksbuches 49) von späterem Datum zu sein, da der Titel auf eine schon verbesserte und vermehrte deutsche Originalausgabe hinweist, vielleicht auf die bei Peter (Lit. der Faustsage, Nro. 78) angeführte, 1589 erschienene „Historie von Dr. Johann Faust, des ausbundigen Zauberers und Schwarzkünstlers teuflischer Verschreibung, unchristlichem Leben und Wandel, seltsamen Abenthewern, auch überaus gräwlichen und erschrecklichen ende. Jetzt aufs newe übersehen und mit vielen Stücken gemehret." Jedenfalls hat aber Marlowe für seine Tragödie diese älteste uns bekannte englische Uebersetzung nicht benüßt, da dieselbe nach Duenzer's Angabe 5o) unter Anderem die im 47. Kapitel des Spieß'schen Volksbuchs enthaltene Erzählung „wie Faustus frisst ein Fuder Häw" nicht wiedergiebt, Marlowe aber diesen Zug aus Faust's Leben in seine Tragödie verflochten hat. 51) 48) Cohn, S. XXIV-XXVI. Payne-Collier, Memoirs of the principal actors in the plays of Shakspeare, London 1846, p. 120-128. Henslowe's Diary, edited by Payne-Collier, p. 209 und 235. 49),,The History of the Damnable Life and Deserved Death of Dr. Joh. Faustus. Newly printed, and in convenient places, impertinent matter amended according to the true copy printed at Francford and translated into English by P. R. Gent" ohne Jahreszahl, abgedruckt in Thoms Collection of early prose romances, Vol. III. Vgl. Duenter (Kloster V, S. 96), Fr. Notter (in den M.-Bl. zur Augsb. A. 3tg., 1847, S. 134 Anm.) 50) Duenter, a. a. D. Die Erzählung von dem Fuder Heu wird in dieser Stelle übrigens irrthümlich in das 36. Kapitel des Volksbuchs verlegt. 51),,The Hist, etc. by Chr. Marlowe" in: „Old plays being a continuation of Dodsley's Collection", London 1816, Vol. I, p. 69. The Works of Chr. Marlowe, Lond. 1826, Vol. II, p. 187, wo der Carter (Kärrner) sagt: „,I'll tell you how he served me: as I was going to Wittenberg th'other day, with a load of hay, he met me and asked me what he should give me for as much hay as he could eat; now, Sir, I thinking a little would serve his turn, bade him to take as much as he would for three farthings; so he presently gave me my money and fell to eating; and as I am a cursen man, he never left eating, till he had eat up all my load of hay." Diese Erzählung stimmt mit der im 47sten Kapitel des Volksbuchs enthaltenen bis auf die Localität überein. Das Volksbuch nennt Da nun die Abfassung des Dramas spätestens bis zum Jahre 1593, dem fast einstimmig angenommenen Todesjahre Marlowe's 52), hinausgeschoben werden darf, und da von einer zwischen 1587 und 1593 erschienenen anderweitigen englischen Uebersehung des Volksbuchs nichts bekannt ist 53), so werden wir zu dem Schlusse gedrängt, daß Marlowe das Spießsche Volksbuch selbst gekannt und aus dem deutschen Originale den Stoff zu seinem Stücke entnommen habe. Und wenn wir die oben angeführte Cohn'sche Notiz über die Schauspieler Thomas Pope und George Bryan mit dem hinreichend beglaubigten Factum zusammenhalten, daß Marlowe im Jahre 1587, nachdem er die Universität Cambridge als Master of Arts verlassen hatte, nach London kam und dort als Schauspieler und Bühnendichter lebte 54), so läßt es sich leicht erklären, wie Marlowe zu dem Volksbuche gekommen ist. Daß nämlich Pope und Bryan nach ihrer Rückkehr aus Deutschland ebenfalls gerade nach London gingen, entnehmen wir folgender, auf P.-Collier's Memoirs of the principal actors in the plays of Shakspeare, p. 120 bis 128 Zwickau statt Wittenberg als den Schauplatz dieses Schabernacks, und Marlowe hat sich wahrscheinlich zu der Aenderung bewogen gefunden, weil das berühmte Wittenberg dem englischen Publikum mehr Interesse einflößte, als das in England wahrscheinlich unbekannte Zwickau. Vgl. Scheible, Kloster II, S. 1033. 52) Vgl. Old plays, I, S. 4. Christ. Marlowe's Works, Lond. 1826, Vol. I, p. VII. Payne-Collier, History of the English stage to the time of Shakspeare (Einl. zu Desselben Ausg. von Sh.'s Werken), p. XLIV, Anm. Derselbe, Hist. of Engl. dram. poetry, III, p. 144, Anm. Achim v. Arnim, Einl. zu W. Müller's Ueberf. des Marlowe'schen Faust, S. VII. Fr.-Victor Hugo, Le Faust anglais de Marlowe, p. 44. Ad. Böttger, Vorr. zur Uebers. des Faust, S. 25. Herm. Ulrici, Ueb. Sh.'s dramat. Kunst, Lpz. 1847, S. 137. Percy, Relicks of ancient Engl. poetry, I, S. 181. 53) Wenigstens wird weder von Peter, noch von Duenter eine solche erwähnt; dagegen erschien 1594 eine Fortsetzung des Volksbuchs unter dem Titel: „The second Report of Dr. John Faustus, containing his appearances and the deeds of Wagner. Written by an English gentleman, student in Wittenberg, an university of Germany, in Saxony." S. Duenzer (Kloster V, S. 47.) Jedenfalls ist dies eine Ueberseßung oder wenigstens Nachbildung des von Peter (Lit. der Faustsage, Nr. 122, Zus. Nr. 127b.) erwähnten „Ander theil Dr. J. Fausti u. s. w.“ 1593 (nach Reichlin-Meldegg in den Jahrbb. für Drama u. s. w. von Willkomm und Fischer, Lpz. 1837), 1594 und unter etwas anderem Titel nach Grässe, Lehrb. der allg. Literärgesch., Dresden 1842-43. 54) S. Old plays I, S. 1. Ausg. von 1826, I, S. 2 u. 3. Achim v. Arnim, a. a. D., S. 5. gestüßter Angabe Albert Cohn's (Sh. in Germ. p. XXVI.): „Was then Th. Pope really the later colleague of Shakspeare? This does not appear to us to admit of any doubt. No other actor of this name is known to us of that time, he belongs to the few, whose connection with the London stage can be traced back to a time prior to Shakspeare's connection with the Black Friars' Theatre in 1589, for we know that before 1588 he had taken a part in Tarlton's play of,,The second part of the Seven Deadly Sins."55) Nun ist es doch sehr wahrscheinlich, daß Marlowe mit den erwähnten beiden Collegen verkehrt, daß diese ihn mit dem mitgebrachten Faustbuche bekannt gemacht und ihm dasselbe, falls er selbst nicht des Deutschen mächtig war 56), mit Hülfe ihrer in Deutschland erworbenen Sprachkenntnisse verdolmetscht haben. Wenn sich dies auch nirgends anders in dieser Weise ausgesprochen findet, so widerspricht doch wenig stens in den von mir eingesehenen Werken nichts meiner Annahme 57), 55) Th. Pope's Aufenthalt in London wird außerdem von P.-Collier, Edition of Henlowe's Diary, p. 109 u. 235 erwähnt. 56) Aber auch das ließe sich wohl annehmen, da er, wie bereits zum Theil erwähnt wurde, von der Universität Cambridge 1583 zum Bachelor of Arts und 1587 zum Master of Arts promovirt wurde und also einen ziemlich bedeutenden Grad von Bildung besessen haben muß. 57) Nach P.-Collier, Hist. of Engl. dram. poetry, III, p. 131,,,Marlowe appears to have followed the scene in the old,,romance of Faustus", unter welcher,,romance" füglich der deutsche Roman im Original verstanden werden kann, da Collier ein zu gründlicher Literaturkenner ist, als daß er nicht das deutsche Volksbuch gekannt und dann gewiß erwähnt hätte, daß er hier eine Uebersetung oder Nachbildung desselben meine. Duenter (Kloster V, S. 230, A. 10) glaubt, daß Marlowe nach dem englischen Volksbuche gearbeitet habe, übersieht aber dabei ganz die von ihm selbst (a. a. D. S. 96) beigebrachte Notiz, daß in diesem englischen Volksbuche die Geschichte vom Fuder Heu fehlt. Wir müssen also auch Duenter's Angabe modificiren, indem wir statt des englischen das deutsche Faustbuch als Marlowe's Quelle bezeichnen. Wenn freilich der Herausgeber von M.'s Works (1826), Vorrede S. 16, mit den Worten Recht hätte: ,,those parts of the latter (sc. Faustus), in which the Clowns are introduced, are so unsuitable to the tone of the rest of the Drama, that we are inclined to consider them as interpolations, probably the additions, which were made by W. Bride and Sam. Rowley after the death of the author and before the first edition was printed“, wenn, sage ich, dies richtig wäre, dann wäre auch die oben (A. 51) angeführte Stelle von dem Fuder Heu nicht Marlowe's unbestreitbares Eigenthum, und unsere ganze Beweisführung würde dadurch einen bedeutenden Halt verlieren. Doch wie ich weiter unten näher ausführen will, glaube ich, daß die citirte Stelle in dem Umfange, den sie diesen additions beilegt, zu weit geht. Vergl. Böttger a. a. D. die außerdem noch an Wahrscheinlichkeit gewinnt durch eine Vergleichung von Marlowe's Faust mit seiner von mir angenommenen Quelle, wobei sich so viele fast wörtlich gleichlautende Stellen finden, daß eine sehr nahe Verwandtschaft zwischen beiden Werken nicht zu verkennen ist. Wenn wir dem Gange beider Werke folgen, so finden wir zu= *nächst im Marlowe'schen Prologe einen sich streng an das Volksbuch anschließenden Abriß der im 1. Kapitel des legteren enthaltenen Jugendgeschichte Faust's. Bei der Teufelsbeschwörung (Marlowe, Act I, Sc. 3; Spieß, Kap. 2 und 3) begegnen wir folgenden übereinstimmenden Einzelnheiten: Mephostophiles (auch der Name ist bei beiden gleich, während die sonst gewöhnliche Form Mephistopheles ist) erscheint erst in häßlicher, abschreckender Gestalt, dann aber als „,,grauer Mönch" (als Blackfriar, ein Orden, der auch in Marlowe's „Rich Jew of Malta" argem Spotte preisgegeben wird); Mephostophiles muß erst seinen Oberherrn, den Fürsten der Hölle um Erlaubniß fragen, ob er den Pact mit Faust eingehen darf. Dieser Pact selbst ist bei Marlowe (Act II, Sc. 1) eine fast wörtliche Ueberseßung des bei Spieß (Kap. 4) angeführten. Das Unterzeichnen der Urkunde mit Blut, das Entstehen der Worte: O homo fuge, die heftige Opposition des Mephostophiles gegen Faust's Absicht sich zu verheirathen, kommen bei Marlowe wie bei Spieß vor. Eine frappante Uebereinstimmung findet sich ferner zwischen Marlowe, Act II, Sc. 2 und Spieß, Kap. 21 und 25; Act III, Prol. und Sc. 1 und Kap. 25, 26 und ff., wo bei den Erzählungen von den Reisen, die Faust mit Mephostophiles macht, sogar die Reihenfolge der einzelnen Städte in beiden Büchern ganz dieselbe ist. Weitere Uebereinstimmungen sind: Act III, Sc. 2 mit Kap. 26; IV, 1 mit 33-35; IV, 5 mit 50; IV, 6 mit 47; V, 1 mit 38 und 39; V, 3 mit 44, 63, 64, 68; V, 4 mit 70, 74, 77 u. a. m. Und muß es uns Deutsche denn nicht mit einem gewissen Stolze erfüllen, wenn das deutsche Volksbuch selbst mit seiner schlichten, einfachen, aber anziehenden Sprache den für seine Zeit bedeutenden englischen Dichter zu einem seiner bedeutendsten Werke veranlaßt hat! S. 9. Emil Sommer (in Ersch und Gruber's Encykl., Sect. I, Th. 42, S. 116) sagt: „Marlowe hat nach dem ältesten deutschen Volksbuche, wahrscheinlich nach der englischen Uebersetzung desselben gearbeitet", räumt also stillschweigend die Mög= lichkeit ein, daß er auch nach dem deutschen Originale gearbeitet habe. |