Versuch, die Luft zu durchdringen; doch glaube ich, daß dies Beginnen noch keinen Frevel in sich schließt, daß vielmehr in der Ovidischen Erzählung (Metam. VIII, 183 ff.) das Hauptgewicht auf die Worte (v. 224): coeli cupidine tactus Altius egit iter, sc. Icarus zu legen ist, in denen man den Gedanken der Faustsage unmittelbar ausgedrückt findet. Auf diese wirkliche Vermessenheit, die den Himmel, das Eigenthum der Götter, dem Sterblichen sichtbar und zugänglich zu machen strebt, folgt dann auch unmittelbar die Strafe, indem durch dasselbe Feuer der Sonne, welches den Icarus zu seinem altius agere iter gelockt hat, seine Flügel geschmolzen werden: rapidi vicinia Solis Mollit odoratas, pennarum vincula, ceras. (v. 225. 226.) Ich glaube, hiermit die Berechtigung nachge= wiesen zu haben, auch die Dädalus-Jcarus-Sage einen Vorläufer der Faustsage zu nennen. Eine Vergleichung beider findet sich übrigens auch in dem Prologe zu der Marlowe'schen Tragödie Faust, mit welcher sich diese Blätter hauptsächlich beschäftigen wollen, und zwar in den Versen: Till, swoln with cunning and a self-conceit, His waxen wings did mount above his reach, und ein vielleicht unbewußter Anklang daran ist im 2. Kapitel des Spieß'schen Volksbuches (Frankfurt a. M. 1587, abgedruckt in Scheible's Kloster, Band V, S. 931—1074) enthalten: „Faust name an sich Adlers Fluegel, wolte alle Gruend am Himmel vnd Erden erforschen, dann sein fuerwitz, freyheit und leichtfertigkeit stache vnd reitzte jhn also etc." Wenn wir nun aber das Streben, über die menschliche Machtgrenze hinauszugehen, als übermäßig, als vπegßolý auf dem Gebiete des Erkennens bezeichneten, so lag darin schon, daß derjenige, welcher sich diesem Streben hingiebt, bereits über das Maß hinaus sein, d. h. bei ihm vorbeigegangen und also vorher auch bis zu ihm gekommen sein muß. Es können also den bezeichneten Frevel nur solche Menschen begehen, die, ursprünglich von edlem Weisheitsdrange geführt, vermöge ihrer bedeutenden Fähigkeiten zu früh am Ziele der menschlichen Weisheit anlangten und nun weder zurückzugehen, noch dabei unthätig stehen zu bleiben Lust hatten, sondern auf fremdes und ihnen versagtes Gebiet vorzudringen suchten, indem sie die um dasselbe gezogenen Schranken zu durchbrechen trachteten. Diese Schranken sind nun allerdings für verschiedene Zeiten ganz verschiedene; das Ziel der menschlichen Erkenntniß erweitert sich natürlich durch die gemeinsamen geistigen Anstrengungen mit jeder Generation, bleibt aber doch immerhin innerhalb des Kreises, dessen Centrum der menschliche Geist ist, und dessen Peripherie zwar immer mehr hinausrückt, aber sich niemals über die Peripherie des Kreises der göttlichen Weisheit hinaus erstrecken kann: was von Haller in dem berühmt gewordenen Verse ausgedrückt ist: ,,Jn's Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist; Zu glücklich, wem sie nur die äußre Schale weist! Wer nun aber nach Erkenntniß und Weisheit strebt, ist ein pilóoogos im eigentlichen Sinne des Worts 4), und also nur wahre Philosophen, niemals aber Menschen, denen die Weisheit und ihre Erlangung gleichgültig war, konnten in den Fehler übermäßigen Weisheitsstrebens verfallen. Daher mag nun wohl auch die Erscheinung abzuleiten sein, daß sich Sagen, die eine solche Vermessenheit des Geistes zum Gegenstande haben, nur bei den Griechen und bei den Germanen 5) vorfinden, bei den Völkern also, die vor allen andern den Ruhm haben, die Weisheit um ihrer selbst willen geliebt und demgemäß das Studium der Philosophie gepflegt zu haben. 6) 4) Vgl. Lactantius, De falsa sapientia II, 3. 5) Der Ausdruck „Germanen“ kann hier in seiner weiteren Bedeutung genommen werden, in welcher er die Engländer und Niederländer eben so gut, wie die Deutschen umfaßt; denn wenngleich die Aehnlichkeit der History of the Friar Bacon mit der Faustsage noch nicht feststeht (S. Fr. Notter, Zur Faustsage und zur Faustlitteratur, in den Monatsblättern der Augsb. Allg. Zeitung, 1847, S. 141, Anm.), und ebenso eine selbstständige niederländische Faustsage nicht mit Gewißheit angenommen werden kann (S. Bergh, De Nederlandsche Volksromans. Amsterdam 1837, und Fr. v. d. Hagen, Aufsatz über Faust in der Germania, Bd. VII, Berl. 1849, S. 407 ff.), so haben doch, wie wir später noch sehen werden, die Engländer und Niederländer, was die Faustsage betrifft, ihren germanischen Charakter durch eine große Empfänglichkeit für dieselbe bewiesen. Ja, ein Engländer (Marlowe) hat sogar, wie ich mich im Verlauf meiner Arbeit zu beweisen bemühen werde, den Ruhm, die schöne Sage zuerst auf die Bühne gebracht zu haben. 6) Die romanische Sage vom Don Giovanni wird oft mit der Faustsage zusammengestellt, doch ist dies nur in dem Sinne zu billigen, wie Stieglitz (in Raumer's hist. Taschenb. von 1834, S. 149) mit Recht sagt: „Vielleicht fand der Don Giovanni der Italiener in unserm Doctor Fauft sein Vorbild; die Fabel aber wurde nationalisirt, und vom Namen wurde nur der Johann beibehalten." II. Entstehung der Fauftsage. Aus dem eben Gesagten läßt es sich auch verstehen, warum die Faustsage, dieser vollendetste Ausdruck menschlicher Vermessenheit, gerade zu Ende des Mittelalters entstanden ist und ihre erste Aufzeichnung gefunden hat, zu jener Zeit, wo sich nach einer langen dunklen Nacht die Morgenröthe der Aufklärung zuerst wieder zeigte. Jahrhunderte lang hatte das deutsche Volk sich des Namens eines „philosophischen Volkes" nicht würdig gezeigt; vielmehr fiel damals in Deutschland, wie anderwärts, alle Philosophie mit der Theologie in ein untrennbares Ganzes zusammen. Die damalige Auffaffung des Christenthums, welche sich in dem Saße des Erzbischofs Anselm von Canterbury ausdrückt: „Credo ut intelligam," schloß jedes unbefangene Erkennen aus, da sie daffelbe eben vom Glauben abhängig machte. Daher mag es wohl kommen, daß wir während des christlichen Mittelalters auch bei den germanischen Völkern keine dem in der Faustsage ausgedrückten Gedanken Rechnung tragende Sage finden, wenn wir nicht den ersten Theil des Parcival von Wolfram von Eschenbach dahin ziehen wollen, der allerdings in dem vier Jahre andauernden unruhigen Suchen Parcivals nach Gott einen Anklang an den Gedanken der Faustsage bietet 7), aber auch eben nur einen Anklang, da im 13. Jahrhundert von einem auf Ergründung des „Innern der Natur“ und der Gottheit gerichteten Streben nicht die Rede sein konnte.3) Allein endlich erwachten doch wieder Geister, denen ein unbefangenes Erkennen, vermittelt durch freies Denken, Bedürfniß war, und diese mußten in einen um so stärkeren Zwiespalt mit der herrschenden Theologie gerathen, als deren Vertreter innerlich die Berechtigung eines solchen Bedürfnisses einsehen mochten, und deshalb mit 7) Vgl. Rosenkranz, Ueber Calderons Tragödie vom wunderthätigen Magus, Lpz. 1836, im Anfange der S. 52-74 befindlichen Episode über die Faustsage. 8) Eine ähnliche Bedeutung ist der Tanhäusersage beizulegen, die sich jedoch lediglich auf dem Gebiete der Sinnenluft bewegt; und man könnte die Faustsage als eine Vereinigung der an die beiden Individuen des Parcival und des Tanhäuser geknüpften Sagen bezeichnen. S. A. Koberstein, Ueber das wahrscheinliche Alter und die Bedeutung des Gedichtes vom Wartburger Kriege, S. 57; Stieglitz, Ueber die Sage vom Dr. Faust (in Raumer's hist. Taschenb. von 1834, S. 137.) der größten Eifersucht dagegen auftraten, um das Licht der Aufklärung nicht in die Herzen und Köpfe des Volkes eindringen zu lassen, das sie nur beeinflussen konnten, solange es im Finstern tappte. Jedoch aller Widerstand war vergeblich, das Licht ließ sich auf seiner Bahn nicht aufhalten und sandte seine Strahlen auf alle Gebiete des menschlichen Wissens. Das Studium des Alterthums erwachte; die wichtige Hülfsleistung der Magnetnadel bei der Schifffahrt wurde entdeckt und eröffnete den staunenden Blicken Europa's eine neue Welt; die Buchdruckerkunst wurde erfunden und eröffnete einer vernünftigen Erkenntniß alle Herzen, die sich vorbereiten wollten auf die schönste Blüthe jener Zeit, die Reformation. 9) Ein lebhaftes Streben nach Erkenntniß ist nun wieder vorhanden, der Geist hervorragender Menschen lechzt nach Wissen; aber die verflossenen Jahrhunderte haben die Quelle des Wissens versiegen lassen, ihre Deffnung ist verschüttet, und es bedarf erst der Anstrengungen neuer Jahrhunderte, um sie wieder fließen zu machen. Die durftigen Seelen wollen dies jedoch nicht abwarten, und so suchen sie ihren Durst aus andrer Quelle zu befriedigen; sie wollen die Kräfte, deren Fülle sie in sich fühlen, anwenden, um das Weltall zu ergründen, um sich die Herrschaft über das Weltall anzueignen. Statt mitzuarbeiten an der Aufdeckung der verschütteten Quelle der Wissenschaft, grübeln sie über der Auffindung eines Lebenselixirs, mittelst dessen fie aller Vergänglichkeit Hohn sprechen wollen, suchen sie nach dem Steine der Weisen, der sie das Wesen der Gottheit ergründen lehren und ihr gleich machen soll. 1o) Sie seßen sich mit den Geistern in Rapport, um ihrer Herr zu werden, bemerken aber dabei erst zu spät die Zerstörung ihres eigenen Geistes, der den geheimnißvollen Mächten, über die er herrschen sollte, unterthan ist und für seine Vermessenheit von ihnen gestraft wird. So gab es in der Wirklichkeit viele Fauste, ehe und während der Faust der Sage und der Dichtung entstand. Historisch aufgefaßt, 9) Rosenkranz, a. a. O. nennt die mythische Person des Faust „in der Refor= mation erzeugt", d. h. also in der Luther's Thesenanschlage lange vorhergehenden geistigen Gährungsperiode, wenn sie auch, um in dem Bilde zu bleiben, erst später geboren wurde. 10) Vergl.: Geschichte des Faustus. Von Prof. Auerbacher (abgedruckt in: Ein Volksbüchlein, München 1839, Theil II. und in Scheible's Kloster, Bd. II, Kap. 3.) würde also die Faustsage einerseits das mit dem Ende des Mittelalters wiedererwachte Streben nach Erkenntniß und seinen Kampf mit der bis dahin herrschend gewesenen Richtung, andererseits die Verirrungen dieses Strebens bei seinem ersten Auftreten ausdrücken, welche das Volk, der Schöpfer wie aller Sagen, so auch dieser, in eigenthümlicher Weise bestrafen läßt. In der vorlutherischen Periode, und zum Theil auch noch lange nachher, gab es nach der Volksanschauung nur zwei Gewalten auf dem geistigen Gebiete: Gott und den Teufel. Wer von Jenem abfiel, wer aufhörte, ihm unbedingt zu gehorchen oder gar seinen Namen lästerte, verfiel der Herrschaft des Fürsten der Finsterniß, dessen Gestalt sich namentlich in den geistlichen Mysterien, den Fastnachtsund Passionsspielen zu einer ganz genau bestimmten Persönlichkeit herausgebildet hatte, deren Eristenz zu leugnen wohl ebenso gotteslästerlich erschienen wäre, wie das Dasein Gottes selbst zu leugnen. Mit diesem Teufel hatte seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts die Sage sehr viele Leute Bündnisse schließen lassen. 11) Die übermüthigen und vermessenen Bestrebungen nach Dingen, die Gott dem Menschen verborgen, wurden nun natürlich als Gotteslästerungen bezeichnet 12), und die nothwendige Folge war, daß alle diese Grübler und Zweifler der Herrschaft des Teufels anheimfielen 13), der ihnen während ihres Erdenlebens alle mögliche Sinnenlust gewährte, sie aber dafür nach dem Tode in die Hölle, seine Residenz, schleppte, wo sie in ewiger Verdammniß und ohne jede Hoffnung auf Erlösung schmachten mußten 14): eine Weiterführung des oben entwickelten Grundgedankens, 11) Vgl. Rosenkranz, Göthe und seine Werke, S. 392, sowie Deffelben Geschichte der deutschen Poesie im Mittelalter, Halle 1830, wovon bei Scheible (Kloster II, S. 39–43) ein Auszug unter dem Titel: „Faust als Volksbuch“ ab= gedruckt ist. 12) Vgl. Ludw. Achim v. Arnim, Vorrede zur W. Müller'schen Uebersetzung von Marlowe's Faust, S. XXVII. 13) Der Teufel selbst ist ursprünglich ein Engel von hoher Macht, aber durch Uebermuth und Vermessenheit zu Falle gekommen. Vgl. Goerres, die deutschen Volksbücher, S. 209. Rosenkranz, Göthe und seine Werke, S. 393. 14) Vgl. die Schlußscene in Marlowe's Faust: |